Circular Economy: Von der Strategie zur Umsetzung

Interview mit Andrea Bruckner (BDO), Martin Wibbe (Materna),
Hans Georg Scheibe (ROI-EFESO) und Markus Holzke (Spie)

02.03.2023

Andrea Bruckner

Partnerin, Mitglied des Vorstands
BDO
Martin Wibbe Materna

Martin Wibbe

CEO
Materna

Hans Georg Scheibe

Vorstand und Mitglied des Executive Committee
ROI-EFESO

Markus Holzke

Geschäftsführer/CEO, SPIE Deutschland & Zentraleuropa und Mitglied des Executive Commitee
SPIE Gruppe

LÜNENDONK: Herr Scheibe, mit welchen Top-Themen kommen Vertreter der Industrie im Zusammenhang mit ESG auf Sie zu?

HANS GEORG SCHEIBE: Zwei Gruppen: Die einen, die schon seit einigen Jahren im Bereich Sustainability viel machen, kommen zunächst mit sehr konkreten und spezifischen Aufgaben auf uns zu, beispielsweise das Produktportfolio und die Entwicklungs-Roadmap eines Chemieunternehmens so umzugestalten, dass sie mit den Nachhaltigkeitszielen mehr und mehr im Einklang stehen, oder beispielsweise im Rahmen einer Fabrikneuplanung alle Hebel für mehr Sustainability zu nutzen. Der anderen Gruppe, die noch eher am Anfang steht, geht es of darum, erst einmal „Awareness“ zu schaffen, die verschiedenen Gruppen im Unternehmen zu sensibilisieren und zu aktivieren, eine entsprechende Governance und ein entsprechendes Controlling aufzubauen und eine Sustainability-Roadmap zu entwickeln.

LÜNENDONK: Was genau verstehen Sie unter dem Begriff „Circular Economy“ und wie können Beratungshäuser Unternehmen dabei unterstützen?

HANS GEORG SCHEIBE: Geschlossene Kreisläufe schaffen und möglichst wenig Verluste zuzulassen, also beispielsweise im Produktdesign späteres Refurbishment, Weiterverwendung oder auch Recycling vorzusehen, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die die Rückführung von Produkten garantieren beziehungsweise erleichtern, Updates von Produkten über Software und so weiter. In allen genannten Bereichen leisten wir konzeptionellen Input, wir unterstützen unsere Kunden intensiv in der Umsetzung, erleichtern Erfahrungsaustausch.

LÜNENDONK: Herr Wibbe, es liegt auf der Hand, dass die IT und digitale Technologien eine wichtige Rolle spielen. Was tut sich gerade bei Ihren Kunden und welche technologischen Trends nehmen Sie wahr?

MARTIN WIBBE: Unsere Kunden stehen im Wettbewerbsumfeld vor vier zentralen Herausforderungen: Sie müssen effizienter werden, ihre Resilienz erhöhen, sich zukunftsfähig aufstellen und dabei positive Nutzererlebnisse für Kunden und Mitarbeitende schaffen. Angetrieben werden diese Herausforderungen dadurch, dass sich Unternehmen künftig auf einen permanenten Wandel einstellen müssen. Energiekrise, Lieferkettenengpässe und instabile Lieferketten, Fachkräftemangel, sich wandelnde Märkte und neue Wettbewerber sind nur einige davon.

Zu den größten Herausforderungen unserer Kunden gehört zudem das Thema Nachhaltigkeit in allen Unternehmensbereichen: ob in der Rohstoffbeschaffung, um den Anteil an Sekundärrohstoffen zu steigern, in der Produktion, um Energie einzusparen und CO₂-Emissionen zu vermeiden, oder um gesetzliche Anforderungen zu erfüllen, wie sie beispielsweise durch die überarbeitete Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) entstehen. Hierbei sprechen wir nicht mehr von einer digitalen, sondern von einer nachhaltigen Transformation. Technologien wie Cloud, IoT und Künstliche Intelligenz helfen, die Herausforderungen der nachhaltigen Transformation zu bewältigen. Die Transformation zwingt Unternehmen, sich mit nutzerzentrierten und mehrwerthaltigen Geschäftsmodellen neu aufzustellen beziehungsweise zu innovieren.

LÜNENDONK: Welche Daten können Top-Management und Werksleitung nutzen? Und wie einfach können diese erfasst werden?

MARTIN WIBBE: Nahezu jedes große Unternehmen hat bereits eine eigene Dateninfrastruktur eingerichtet. Daten werden zuhauf gesammelt – von Maschinen, Produkten, Menschen, aus dem Internet. Es ist jedoch noch immer die größte Herausforderung, die Daten zu verstehen, sie intelligent zu vernetzen und schließlich auch mehrwertgenerierend zu nutzen. Gerade einmal 20 Prozent der vorhandenen Daten in Unternehmen werden überhaupt genutzt und die daraus generierten Erkenntnisse greifen leider allzu häufig viel zu kurz. Denken wir nun in Richtung ESG, wenn Tausende weitere Unternehmen ab dem kommenden Jahr zusätzlich in der Pflicht stehen, ein ESG-Reporting zu betreiben. Auch hier werden Daten und Datenqualität entscheidend sein. Wenn es in den Daten eines Unternehmens an Genauigkeit, Konsistenz und Kontext mangelt, wird es schwierig, das ESG-Reporting überhaupt erfolgreich zu gestalten. Modernen Technologien wie Künstlicher Intelligenz und intelligenten Algorithmen zur Auswertung des immer weiter steigenden Datenvolumens wird hierbei eine Schlüsselrolle zukommen.

Dem Top-Management bietet sich die Chance, ESG-Daten als wichtiges Planungsinstrument für langfristiges, nachhaltiges Wachstum zu nutzen. ESG-Daten können Aufschluss über entscheidende Faktoren geben, zum Beispiel wie sich die Umstellung ihres Energiemix auf erneuerbare Energien und auf ihre Kosten auswirken oder welche Auswirkungen natürliche Ressourcen auf den Umsatz haben. Unternehmen können diese Erkenntnisse nutzen, um ihre Geschäftstätigkeit und ihr Geschäftsmodell so umzugestalten, dass sie die Ziele der nachhaltigen Entwicklung vorantreiben und erreichen.
Ein Digital Twin kann die eigene Geschäftstätigkeit nachhaltiger gestalten. Ein solcher digitaler Zwilling, beispielsweise von einer Produktionsanlage, wird mithilfe Künstlicher Intelligenz erstellt. Das digitale Modell liefert Echtzeitdaten zur Produktion und über den Verbrauch und kann die Produktionsverbräuche und den Materialfluss simulieren. Mithilfe von KI lassen sich nun Szenarien im Betrieb und entlang der Lieferkette testen.
Ergänzt um die ESG-Daten werden letztlich Einsparpotenziale identifiziert, der Betrieb optimiert und die Geschäftstätigkeit nachhaltiger gestaltet.

LÜNENDONK: Herr Holzke, warum ist aus Ihrer Sicht gerade jetzt der Erfahrungsschatz eines technischen Dienstleisters wie Spie so wichtig?

MARKUS HOLZKE: Die Industrielandschaft in Deutschland und Europa hat mit dem Dekarbonisierungspfad der EU hohe Ambitionen und muss spätestens 2050 bei null CO₂-Emissionen ankommen – und das nicht nur aus umweltpolitischen Notwendigkeiten heraus. Als Multitechnik-Dienstleister und Lösungspartner für nachhaltige Gebäude, Anlagen und Infrastrukturen verfügen wir über jahrzehntelange Erfahrung in der Energieeffizienz und im Einsatz erneuerbarer Energien. Von der Analyse der Energieverbräuche und Prozesse über die Beratung und Entwicklung passgenauer Lösungen bis hin zur Umsetzung begleiten wir unsere Kunden auf ihrem Weg, sich effizient und nachhaltig auszurichten.
Was vor einigen Jahren jedoch vor allem mit dem Blick auf Kosteneffizienz implementiert wurde oder von den Vorreiterunternehmen im Bereich Klimaschutz vorangetrieben wurde, hat heute eine ganz neue Relevanz und Brisanz. Durch steigende Energiepreise und die Anforderungen an die CO₂-Reduzierung werden Lösungen für nachhaltige und effiziente Gebäude und Anlagen eine zunehmend attraktive Investition.

LÜNENDONK: Welche Voraussetzungen bringen technische Dienstleister wie Spie mit, um ihre Kunden in Richtung Nachhaltigkeit zu unterstützen?

MARKUS HOLZKE: Mit unserer Expertise leisten wir einen wichtigen Beitrag, um die Ziele für den Klimaschutz zu erreichen. Wir begleiten Unternehmen auf ihrem Weg in eine nachhaltige Zukunft und unterstützen sie dabei, ihre ESG-Ziele zu erreichen. Wir haben eine umfassende Kompetenz in Energieeffizienzprojekten, in der Implementierung passgenauer Maßnahmen vom technischen Facility Management über die technische Gebäudeausrüstung bis hin zur Realisierung von Anlagen für erneuerbare Energien. Zugleich haben wir uns frühzeitig mit unseren Kunden und Partnern mit digitalen Technologien auseinandergesetzt und Lösungen entwickelt, um Energieverbräuche und CO₂-Emissionen zu analysieren und auf der Basis dieser Analyse konkrete Maßnahmen abzuleiten.

LÜNENDONK: Wie konkret kann ein klimaneutrales Produktionsumfeld gelingen?

MARKUS HOLZKE: Die positive Botschaft vorweg: Mit den heutigen Möglichkeiten und Technologien ist ein klimaneutrales Produktionsumfeld möglich. Der Weg zu klimaneutralen Gebäuden, Anlagen und Infrastrukturen erfordert einen klugen Mix aus Lösungen für eine verbesserte Energieeffizienz und nachhaltiger Energie und ist individuell auf den Bedarf und die Voraussetzungen des Kunden ausgerichtet. Auf der Basis einer Analyse der Verbrauchssituation vor Ort betrachten wir den Umgang mit Energie ganzheitlich und entwickeln Maßnahmen für eine bedarfsgerechte Auslegung und dynamische Anpassung der Anlagen und für den stetig angepassten Betrieb im Effizienzoptimum. Der verbleibende Energiebedarf wird aus möglichst eigenen regenerativen Quellen wie beispielsweise Photovoltaik oder Biomasse gedeckt oder bei Bedarf regenerativ zugekauft.
Durch den Einsatz erneuerbarer Energien und den effizienten Betrieb der Anlagentechnik sowohl in der Energiebereitstellung als auch in der Produktion selbst lässt sich die Dekarbonisierung bereits heute erreichen.

LÜNENDONK: Frau Bruckner, das hört ich alles sehr spannend und technisch an. Rückt im Lagebericht diese Komponente jetzt stärker in den Fokus? Was ändert sich?

ANDREA BRUCKNER: Absolut. Das Thema ESG wird künftig fester Bestandteil im Lagebericht sein. Schon jetzt müssen einige große kapitalmarktorientierte Unternehmen, Banken und Versicherungen über ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten berichten, können dies aber noch außerhalb des Lageberichts tun. Mit Inkrafttreten der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) werden ab 2025 rund 15.000 Unternehmen in Deutschland zur Nachhaltigkeitsberichterstattung im Lagebericht verpflichtet sein. Denn neben den großen Unternehmen von öffentlichem Interesse werden von da an auch große Unternehmen ohne Kapitalmarktorientierung sowie kleinere und mittlere kapitalmarktorientierte Unternehmen (ab 2026) verpflichtet, Informationen über ihre nachhaltige Unternehmensleistung zu veröffentlichen. Damit wird die interne und externe Aufmerksamkeit in Bezug auf ESG-Themen weiter massiv steigen. Darüber hinaus kommen umfangreiche Berichtsstandards durch die EFRAG bezüglich der Nachhaltigkeitsinhalte auf die Unternehmen zu. Damit verbunden sind klare Vorgaben zur Bestimmung wesentlicher Themen, zu berichtende KPIs etc. Die Prüfungspflicht, die mit der bald in Kraft tretenden CSRD verbunden ist, erhöht parallel auch den Druck auf eine stringente Dokumentation, Kontrolle und Validierung der berichteten Inhalte.
Das sind schon wirklich große Herausforderungen für viele der demnächst berichtspflichtigen Unternehmen – organisatorisch wie auch personell. Letztendlich führen jedoch all diese Maßnahmen dazu, dass die Einheitlichkeit der Nachhaltigkeitsberichterstattung steigt und Kennzahlen transparenter und damit vergleichbarer werden.

LÜNENDONK: Mit Blick auf die Industrie – unabhängig von der Unternehmensgröße: Was ist bei E, bei S und bei G zu berücksichtigen?

ANDREA BRUCKNER: Grundsätzlich muss sich jede Organisation unabhängig von Größe oder Branche initial intensiv damit auseinandersetzen, welche Auswirkungen ihre Geschäftstätigkeit auf die Säulen E, S und G hat (Inside-out-Perspektive) beziehungsweise welche Themen aus diesen Bereichen Auswirkungen auf das Unternehmen haben (Outside-in-Perspektive). Dazu gilt es, sich intern crossfunktional auszutauschen, externe Stakeholder-Interessen und -Standpunkte sowie Branchenthemen zu berücksichtigen. Sicher gibt es in den drei Säulen aber auch Themen, an denen niemand vorbeikommt. Dazu gehören unser aller Verantwortung für Fragen des Klimaschutzes, Mitarbeiterbelange und Compliance-Fragestellungen.

LÜNENDONK: Herr Holzke, auf den ersten Blick können IT- und Technikdienstleister nur beim Aspekt Environmental unterstützen. Ist das der Fall oder tragen Sie auch zu Social und Governance bei?

MARKUS HOLZKE: Als führender europäischer Multitechnik-Dienstleister mit über 17.000 Beschäftigten in Deutschland und Zentraleuropa und insgesamt 48.000 in der Spie Gruppe haben wir natürlich alle drei Dimensionen von ESG im Blick und richten das Unternehmen strategisch danach aus. Wir haben den Anspruch, ein attraktives Unternehmen für alle unsere Stakeholder zu sein: für unsere Kunden und Partner, für unsere Mitarbeitenden, für Aktionärinnen und Aktionäre – unsere größte Aktionärsgruppe bilden übrigens unsere eigenen Mitarbeitenden – und die Gesellschaft. Wir begreifen ESG als Chance für unseren nachhaltigen Unternehmenserfolg.
„Social“ bedeutet für uns als Spie insbesondere die Positionierung als attraktiver Arbeitgeber – als erste Wahl für unsere heutigen Mitarbeitenden und „Employer of Choice“ für potenzielle zukünftige Talente. Dafür setzen wir uns seit vielen Jahren intensiv ein. So hat die Sicherheit und Gesundheit unserer Mitarbeitenden für uns oberste Priorität. Kontinuierliche Verbesserungen, die Entwicklung innovativer Lösungen für eine noch sicherere Arbeit und strategische Initiativen sind unser Selbstverständnis im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Zugleich setzen wir uns für gleiche Chancen aller Beschäftigten ein. Ein besonderer Fokus liegt auf der Stärkung von Frauen im Unternehmen. Durch interne Beförderungen und Neuanstellungen möchten wir den Anteil von Frauen in Führung um 25 Prozent steigern.
Dabei sind wir überzeugt, dass uns die Ausrichtung unseres Geschäfts auch bei der Attraktivität als Arbeitgeber zugutekommt. Dienstleistungen für den Klimaschutz sind klar unsere Stärke. Unsere Lösungen und unser Commitment zu Nachhaltigkeit sind zentraler Bestandteil unseres Geschäftsmodells. Deshalb war es uns von Anfang an wichtig, das transparent zu machen. Spie zählt damit zu den ersten Unternehmen, die ihren Beitrag zur kohlenstofffreien Wirtschaft messen, jährlich extern auditieren lassen und veröffentlichen.
Die Dimensionen E und S von ESG sind jedoch nur zu erreichen, wenn die Unternehmensführung sich voll zu den Zielen bekennt und entsprechende Strukturen geschaffen werden. Bei Spie verpflichten sich alle Führungskräfte bis hin zum CEO zum Verfolgen der ESGZiele, die fester Bestandteil des Strategischen Plans 2025 sind. Auch die Forderung, finanzielle Anreize mit ESG-Kriterien zu verbinden, erfüllen wir und koppeln die erfolgsabhängige Vergütung an Kennzahlen in den Bereichen Arbeitssicherheit und CO₂-Reduzierung. Zudem stellt sich das Unternehmen in großer Regelmäßigkeit auch externen Evaluationen. EcoVadis bestätigte im Jahr 2022 erneut, dass Spie bezüglich Nachhaltigkeit zu den vorbildlichsten seiner Branche gehört. Das bestätigt uns in unserer Ausrichtung und unserem Weg.

LÜNENDONK: Wie sehen Sie das, Herr Wibbe?

MARTIN WIBBE: Als Familienunternehmen ist uns unsere gesellschaftliche Verantwortung sehr wichtig und Nachhaltigkeit einer unserer wichtigsten Unternehmenswerte – ökologisch, ökonomisch und auch sozial. Dazu sind die IT-Nachwuchsförderung und das kontinuierliche Invest in Aus- und Weiterbildung bei Materna seit jeher fest verankert. Zudem sind Diversity beziehungsweise gelebte Vielfalt für Materna wichtiger Bestandteil der Materna-Kultur. Materna ist stolz darauf, Mitarbeitende aus insgesamt 44 verschiedenen Nationen von vier Kontinenten zu beschäftigen. Gemischte Teams, gleiche Bezahlung der Geschlechter, Inanspruchnahme von Elternzeit, auch von Vätern, sowie Teilzeitmodelle für alle Geschlechter sind wertvolle Bestandteile unseres Angebotes. Als sichtbares Zeichen sind wir dem UN Global Compact beigetreten und Mitglied der Charta der Vielfalt. Wir tun bereits viel für die Gesellschaft, reden aber traditionell nicht so sehr darüber.

LÜNENDONK: Frau Bruckner, was sind denn aus Ihrer Sicht die aktuellen Pain Points der Kunden im Rahmen des Prüfungs- und Beratungsgeschäfts?

ANDREA BRUCKNER: Gewiss die allgemeine Unsicherheit, was da in Sachen Nachhaltigkeitsberichtspflicht auf sie zukommt. Manche Unternehmen starten bei null, andere wiederum haben sich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt. Wie und wo den Anfang machen? Welche Regularien gelten für wen? Welche Geschäftsbereiche müssen unternehmensintern beteiligt sein, um eine gesetzeskonforme und gleichsam effiziente Nachhaltigkeitsberichterstattung umzusetzen? Dazu kommt die Frage, wie sie das personell bewältigen sollen – vor allem in den momentan ohnehin wirtschaftlich herausfordernden Zeiten.

LÜNENDONK: Herr Scheibe, sehen Sie das auch so? Und wer steht denn schon gut, wer muss noch nachholen?

HANS GEORG SCHEIBE: Bei unseren Kunden steht sehr stark die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund. Nachhaltigkeit scheint auf den ersten Blick Geld zu kosten, ohne Nutzen zu bringen. Eine möglichst umfangreiche monetäre Bewertung schafft hier Transparenz. Automobilhersteller und die Konsumgüterindustrie stehen unter dem Druck der Öffentlichkeit und haben Sustainability schon länger im Fokus. Die zuliefernde Industrie im Investitionsgüterbereich hingegen ist gerade dabei, Nachhaltigkeitsstrategien und -Roadmaps aufzusetzen.

LÜNENDONK: Werfen wir am Ende einen Blick in die Zukunft. Was meinen Sie: Wird die Industrie in drei bis fünf Jahren mit dem Thema ESG souverän umgehen oder bedeutet das einen permanenten Optimierungsprozess?

ANDREA BRUCKNER: Aus meiner Sicht schließt das eine das andere nicht aus. Ich gehe davon aus, dass wir ein sehr viel höheres Maß an Transparenz erwarten können, ebenso wie eine gesteigerte Professionalisierung in Bezug auf den Umgang mit ESG-Themen.
Darüber hinaus bleiben ESG-Themen – und auch die damit verbundene Regulatorik – sicherlich noch viele Jahre ein „moving target“. Das liegt aber auch in der Natur der Sache. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu E entwickeln sich weiter, soziale Anforderungen verändern sich und auch das Verständnis zu G unterliegt gesellschaftlichen Entwicklungen. Management unterliegt immer einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Das gilt auch für Nachhaltigkeit, die erfreulicherweise endgültig in den Kernprozessen der Unternehmen angekommen ist.

HANS GEORG SCHEIBE: Es wurde ja bereits einiges erreicht und es gibt viele Unternehmen, die Nachhaltigkeit als Treiber für Verbesserungen nutzen. Die regulatorischen Anforderungen werden viele in den nächsten Jahren zum Handeln zwingen. Aber der nachhaltige industrielle Wandel bleibt eine permanente Herausforderung. Viele technologische Innovationen stecken noch in den Kinderschuhen und brauchen Zeit, um wirtschaftlich nutzbar zu sein.

MARKUS HOLZKE: Was ich in vielen Gesprächen mit unseren Kunden höre, ist, dass sämtliche Unternehmen, auch über das produzierende Gewerbe hinaus, ESG schon fest in den Blick genommen haben, sich entweder bereits voll darauf konzentrieren oder sich zumindest vornehmen, hier eine sichtbare Position zu beziehen.
Was heute noch einer positiven Differenzierung im Wettbewerbsumfeld dient, wird mittelfristig zu einer der wichtigsten Unternehmensausrichtungen gehören. Das haben alle meine Gesprächspartner bestätigt. Die ESG-Kriterien sind für sämtliche Stakeholder relevant – von Investoren über die Mitarbeitenden bis hin zu Schulabsolventinnen und -absolventen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Deshalb warten die Unternehmen, wartet die Industrie keine fünf Jahre mehr, sondern widmet sich dem Thema schon jetzt mit voller Kraft – so wie wir bei Spie. Wir geben innerhalb unseres Unternehmens, aber auch in Zusammenarbeit mit unseren Kunden bereits jetzt wichtige Impulse im Sinne der gesellschaftlichen Verantwortung unseres Unternehmens. Dass dies gleichzeitig bedeutet, dass wir uns permanent in einem Optimierungsprozess befinden, steht dabei außer Frage. Wie in allen Bereichen des unternehmerischen Handelns können und wollen wir auch bei ESG immer noch besser werden.

MARTIN WIBBE: Nachhaltigkeit ist eine Verpflichtung für uns alle, es ist keine Option mehr. Kein Unternehmen kann es sich mehr leisten, nicht nachhaltig zu agieren. Im Thema ESG steckt für die Unternehmen sehr viel Potenzial, sich vom Wettbewerb zu differenzieren, sich gegenüber Bewerbern attraktiv darzustellen und letztlich auch Kosten zu sparen bzw. effektiver zu produzieren. Wer jetzt mit dem Thema startet, kann sich frühzeitig differenzieren. Denn der Wandel wird uns begegnen. Ich erwarte, dass die Industrie in den nächsten Jahren damit sehr souverän umgehen und sich darauf einstellen wird. Wir begleiten unsere Kunden gerne mit unseren Digital Industry Solutions auf diesem Weg.

LÜNENDONK: Vielen Dank für das Gespräch!

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