05.11.2024 – Mindelheim
Die Big-Four-Gesellschaft EY muss erneut den Verlust wichtiger Köpfe hinnehmen. Im Oktober wechselten sieben Partner und rund 30 weitere Mitarbeiter zur Strategieberatung OC&C. Damit verfestigt sich der Eindruck: EY ist als Arbeitgeber in der WP-Branche derzeit nicht die erste Wahl, nicht zuletzt wegen der Causa Wirecard. Seit dem Bilanzskandal hat EY kein größeres Prüfmandat mehr gewonnen und darf aufgrund des APAS-Urteils vom März 2024 auch in den kommenden zwei Jahren keine Unternehmen von öffentlichem Interesse prüfen. Die von EY geplante und nun verworfene Trennung von Prüfung und Beratung sorgte für zusätzliche Unsicherheit, und auch der Rechtsformwechsel und die Umstrukturierung der Geschäftsbereiche haben keine Ruhe einkehren lassen. Insgesamt sah es für EY bei der Personalrekrutierung also schon einmal rosiger aus.
EY verliert unter den Big Four die meisten Talente an die Konkurrenz
Das bestätigt auch eine Analyse der Personalberatung Dr. Heimeier Executive Search, über die das FINANCE Magazin exklusiv berichtet hat. Demnach hat EY unter den Big Four die meisten Abgänge an den Wettbewerb zu verkraften. Im Jahr 2023 verließen 115 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Richtung KPMG, Deloitte und PwC – EY selbst konnte hingegen nur 74 aus diesem Pool rekrutieren. Insgesamt konstatiert die Untersuchung, dass die Wechseldynamik zwischen den vier großen WP-Gesellschaften zugenommen hat.
Während EY die meisten Talente abgeben musste, verzeichnete Deloitte die meisten Zugänge (114 gegenüber 58 Abgängen). Damit ist Deloitte die einzige der Big-Four-Gesellschaften, die auf dem Senior Level mehr Talente zugewinnen konnte als abgeben musste. PwC hingegen weist unter den vier Großen die höchste Fluktuation auf – 107 Abgängen stehen 102 Zugänge gegenüber. KPMG konnte den Negativtrend der vergangenen zwei Jahre stoppen und hat nun wieder mehr Mitarbeiter von der direkten Konkurrenz abwerben können – vor allem auf Partner-Level.
Rekrutierung und Fachkräftemangel bleiben größte Herausforderungen
Ob Big Four oder Mittelstand: Der Fachkräftemangel in der Wirtschaftsprüfung bleibt ein Hemmschuh. Laut der aktuellen Lünendonk-Studie „Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung in Deutschland“ gilt die Rekrutierung von qualifiziertem Personal als größte Herausforderung für das eigene Business, und 90 Prozent der Studienteilnehmer sehen das Thema Personal als wichtigste Managementaufgabe.
Für den WP-Nachwuchs sind die Aussichten auf eine Karriere in der Wirtschaftsprüfung daher rosig, sieht man einmal vom steinigen Weg zum WP-Examen ab. Das Tätigkeitsfeld des Wirtschaftsprüfers ist durch KI, Digitalisierung und ESG deutlich attraktiver geworden, das traditionelle Berufsbild entspricht nicht mehr der Realität.
Karriere bei den Big Four oder im WP-Mittelstand?
Weshalb aber entscheiden sich Talente für eine Karriere bei den Big Four, und mit welchen Vorteilen und Benefits punktet der Mittelstand? Die großen WP-Gesellschaften bieten ihren Mitarbeitenden durch ihre weltweite Präsenz und ihre internationale Ausrichtung Zugang zu großen, globalen Mandanten. Das Arbeiten in internationalen Teams und mit Niederlassungen im In- und Ausland gehört zum Tagesgeschäft. Auch wer sich auf eine Nische oder eine bestimmte Branche spezialisieren möchte, ist bei den großen WP-Gesellschaften gut aufgehoben.
Mittelständische Prüfhäuser hingegen bieten zwar weniger internationale Möglichkeiten als die Big Four, zeichnen sich jedoch durch einen multidisziplinären Ansatz aus. Die Prüferinnen und Prüfer sind hier eher „Generalisten“ und stehen schon früh in engem Kontakt mit den Mandanten, meist auf nationaler oder regionaler Ebene.
Consulting-Sparte bei Big Four zunehmend wichtiger
Die Young Talents müssen sich darüber hinaus auch der Unterschiede im Portfolio bewusst sein: Bei den mittelständischen WP-Gesellschaften ist und bleibt das Segment Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung das Kerngeschäft, während bei den Big Four die Consulting-Sparte inzwischen zum größten Umsatzbringer geworden ist. Die Consulting- und Advisory-Sparten der WP-Gesellschaften bieten ein vielfältigeres Betätigungsfeld, das auch Experten aus Bereichen wie KI, Data & Analytics oder Nachhaltigkeit anspricht. Die Einstiegshürden für eine Karriere in der Beratung sind niedriger, und das Consulting spricht ein breiteres Spektrum an Bewerbern an – jünger, weiblicher, mit unterschiedlichen akademischen Backgrounds. Im Audit-Segment hingegen wird das Prüfen – trotz des Einzugs von ESG und KI – die Kernaufgabe schlechthin bleiben.
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Jörg Hossenfelder
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Wirtschaftsprüfung