Hybride Betriebsmodelle sind kein Showstopper mehr

Mario Zillmann hat sich im Rahmen der Studie „S/4HANA-Umstellung“ mit Jens Hinkelmann, Leiter Geschäftsfeld Unternehmens- und IT-Beratung bei Rödl & Partner und Markus Merk, Geschäftsführer bei Rödl IT Operation zum Status quo der ERP-Modernisierung unterhalten.

18.05.2021

Jens Hinkelmann Rödl & Partner

Jens Hinkelmann

Leiter Geschäftsfeld Unternehmens- und IT-Beratung
Rödl & Partner
Markus Merk Rödl

Markus Merk

Geschäftsführer
Rödl IT Operation

MARIO ZILLMANN: Für mehr als jedes dritte Unternehmen hat die Pandemie Auswirkungen auf die Pläne zur S/4HANA-Umstellung. Sie haben viele mittelständische Kunden, die sich zurzeit in der S/4HANA-Umstellung befinden. Welche Erfahrungen haben Sie 2020 bei Ihren Kunden gemacht?

MARKUS MERK: Die Kunden, die bereits in die Projektphase eingestiegen sind, haben während der ersten Lockdown-Phase die Geschwindigkeit reduziert. Mittlerweile laufen die gestarteten Projekte wieder wie geplant. Einige unserer Kunden stehen mit ihren Projekten in den Startlöchern, andere haben die Dringlichkeit der Umstellung zurückgenommen, da das Wartungsende verlängert wurde.

JENS HINKELMANN: Aus unserer Erfahrung sind die Auswirkungen branchenabhängig. Branchen, die die Auswirkungen der Pandemie extremer spürten, haben ihre Projekte bewusst pausiert oder den Zeitrahmen für die Umsetzung nach hinten verschoben. Ebenso gibt es Bereiche, die 2020 die S/4HANA-Umstellung gepusht haben. Wir hatten beispielsweise zwei Kunden, deren Umstellung von der Pandemie nicht beeinflusst wurden und bei denen der beabsichtigte Go-live zum Jahresanfang 2021 wie geplant stattfand.

MARIO ZILLMANN: Laut Studienergebnissen hat das verteilte und virtuelle Arbeiten – auch infolge von Covid-19 – die Umstellung auf S/4HANA teils deutlich erschwert. Vor welchen Herausforderungen standen Sie als Unternehmens- und IT-Dienstleister bei der Unterstützung Ihrer Kunden im Jahr 2020?

MARKUS MERK: Im Bereich des Betriebs von SAP-Landschaften gab es bisher kaum negative Auswirkungen. Der Abstimmungsaufwand durch ausschließlich online durchgeführte Projektmeetings und Projekte insgesamt war wesentlich höher, aber das hat die erfolgreiche Durchführung der Projekte nicht negativ beeinflusst.

JENS HINKELMANN: Das vergangene Jahr hat auch uns gezeigt, dass komplexe Projekte rein remote bearbeitet und erfolgreich durchgeführt werden können. Workshops, die normalerweise vor Ort stattfinden, können zwar digital veranstaltet werden, benötigen dann aber mehr Vor- und Nachbereitung sowie die Akzeptanz aller Beteiligten für eine neue Kommunikationskultur. Das war ein Lernprozess für die Kunden, aber auch für uns als Unternehmens- und IT-Beratung.

MARIO ZILLMANN: Im Vergleich zu den Vorjahresergebnissen hat sich die Anzahl der Unternehmen, die einen Brownfield-Ansatz verfolgen, knapp halbiert. Ursache ist, dass die digitale Transformation so umfassende Anpassungen fordert. Hat die Pandemie diese Erkenntnis beschleunigt oder gab es andere Auslöser?

JENS HINKELMANN: Viele Unternehmen nutzen die Chance des Technologiewechsels für eine Überprüfung ihrer gesamten Prozesskette. Einer der großen Antreiber der Projekte ist die Rückkehr zum Best-Practice-Standard. Wenn das konsequent verfolgt wird, passt der Brownfield-Ansatz nicht. Die Pandemie selbst hat gezeigt, wie notwendig Digitalisierung in den Unternehmen ist, um auch in Extremsituationen arbeitsfähig und somit konkurrenzfähig zu bleiben. Dabei hat sie nicht den Scope der Digitalisierungsstrategie verändert, jedoch als Beschleuniger der Umsetzung agiert.

MARIO ZILLMANN: Wie sieht der Wechsel von SAP R/3 hin zu S/4HANA aus Sicht des Systembetriebs aus?

MARKUS MERK: Der Wechsel nach S/4HANA kann als zweistufiger Weg erklärt werden: Plattform-Readiness für HANA gefolgt von der Migration in die Zielarchitektur S/4HANA. Readiness der Plattform ist der erste Schritt: Dabei findet ein Wechsel der Technologie von einer oder mehreren any-DB‘s mit Konsolidierung auf eine HANA-DB-Plattform statt. Die Vorteile wie etwa eine bessere Performance der HANA-DB sind nutzbar; etwaige Wartungsentgelte für any-DB entfallen. Die Plattform ist „ready“ für das eigentliche Projekt – das bedeutet, die Fokussierung auf Prozesse, Organisation und Applikation tritt in den Vordergrund. In der Projektplanung besteht somit die Möglichkeit, selektiv oder parallel zwischen den Welten R/3 und S/4 vorzugehen und zu planen.
Zusätzlich zur Plattform ist die Cloud-Readiness ein wichtiger Faktor. Der Provider, der das Unternehmen in beiden Schritten unterstützt, hat Erfahrungen mit Schnittstellen und unterschiedlichen Versions- und Release-Ständen, vor allem aber damit, wie man auf eine einheitliche Datenbank mit performanter Plattform migriert.

MARIO ZILLMANN: Bei der Wahl der Betriebsmodelle präferiert über die Hälfte der befragten Unternehmen eine hybride Variante. Können Sie diesen Trend aus der Praxis bestätigen?

MARKUS MERK: Hybride Betriebsmodelle sind heute schon vielfach im Einsatz und kein Showstopper mehr. Viele setzen auf Private Cloud-Modelle im Bereich der Core-Umgebungen. Sekundär- oder Drittprozesse werden auch teilweise aus der Public Cloud in die hybride Welt eingebunden. Im Mittelpunkt der Überlegungen unserer Kunden stehen die Faktoren Flexibilität und Sicherheit. Unsere Kunden machen sich natürlich Gedanken, welche Prozesse cloudfähig sind und welche sie überhaupt in der Cloud haben wollen.
Auf der anderen Seite stellen wir fest, dass Produktions- oder Kernwertschöpfungsprozesse von den Unternehmen noch sehr stark in der Private Cloud oder in On-Premise-Modellen betrieben werden. Das Beherrschen der Schnittstellenkomplexität ist dabei ein wichtiger Erfolgsfaktor.

MARIO ZILLMANN: Reine Cloud-Lösungen werden momentan noch nicht so stark von Unternehmen genutzt. Welche Vorbehalte haben Unternehmen bei der Nutzung der Cloud?

MARKUS MERK: Oftmals gibt es Vorbehalte aufgrund unklarer Prognosen zum Transition-out. Es gibt Befürchtungen, zwar schnell in reine Cloud-Lösungen einzusteigen, aber aufgrund tiefgreifender Abhängigkeiten in der Public Cloud schwer wieder in eine andere Umgebung migrieren zu können. Reine Cloud-Lösungen erfordern auch einen hohen Grad an Standardisierung. Hier spielt das Thema Cloud-Readiness bei den Unternehmen eine Rolle: Die Unternehmen sind teilweise noch nicht bereit oder gewillt, vollständig zu standardisieren, weshalb an dieser Stelle keine reinen Cloud-Lösungen verwendet werden können.

MARIO ZILLMANN: Von 2021 bis 2025 wollen 87 Prozent der Unternehmen mit dem Start des S/4HANA-Rollouts beginnen. Wie ist Ihre Einschätzung zur Verfügbarkeit qualifizierter Beratungshäuser für S/4HANA-Einführungsprojekte? Müssen Unternehmen hier mit Engpässen rechnen?

MARKUS MERK: Im Bereich des IT-Betriebs sind die Provider für Private Clouds oder SAP Managed Services recht gut aufgestellt, da diese gewohnt sind, sich im Betrieb in ständig veränderten Landschaften und mit der Skalierbarkeit ihrer Dienstleistungen zu bewegen.

JENS HINKELMANN: Der große Mangel an Beratern wurde in den vergangenen Jahren schon prognostiziert, bisher ist er aber noch nicht in vollem Umfang eingetreten. Das bedeutet aber nicht, dass auch in den nächsten Jahren ausreichende Kapazitäten vorhanden sind. Schon jetzt sollten langfristige Migrationsstrategien erarbeitet werden, um auf Veränderungen im Beratermarkt reagieren zu können.

MARIO ZILLMANN: Wie sichert Rödl & Partner, dass die Umstellung auf S/4HANA ein Erfolg wird?

JENS HINKELMANN: Bei der Beratung unserer Kunden nutzen wir den Best-Practice-Ansatz der Software. Das bedeutet auch, dass wir nur dort vom Standard abweichen, wo der Kunde tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal hat und somit Wettbewerbsvorteile generiert. Der zweite Baustein zur Sicherung unserer Projektergebnisse ist die Beteiligung von IT-Auditoren von Rödl & Partner. Diese machen unabhängig transparent, wie sowohl gesetzliche Vorgaben als auch vertragliche Vereinbarungen eingehalten werden.

MARIO ZILLMANN: Vielen Dank für das Gespräch.

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