Digitalisierungsstrategien werden oft nur halbherzig umgesetzt

Mario Zillmann hat sich im Rahmen der Studie „Digital Outlook 2025: Financial Services“ mit Sladjan Seferovic, Managing Partner bei NEXGEN Business Consultants unterhalten.

10.02.2021

Sladjan Seferovic NexGen

Sladjan Seferovic

Managing Partner
NEXGEN Business Consultants
Mario Zillmann

Mario Zillmann

Partner
Lünendonk & Hossenfelder GmbH

MARIO ZILLMANN: Decken Sich die Ergebnisse der Studie mit Ihrer Wahrnehmung und Erfahrung aus Ihren Projekten im Hinblick auf die größten Herausforderungen der Finanzdienstleister?

SLADJAN SEFEROVIC: Die Studienergebnisse decken sich zu einem Großteil mit unseren Erfahrungen und den Gesprächen, die wir mit unseren Kunden führen. Das betrifft insbesondere die Kluft, die zwischen der Management- und Mitarbeiterebene liegt, wenn es darum geht, die Notwendigkeit der digitalen Transformation zu gewichten. Wenn wir mit der Führungsebene sprechen, steht das Thema Digitalisierung ganz oben auf der Agenda. Sobald wir uns allerdings auf der operativen Ebene bewegen, verstehen viele Mitarbeiter nicht, was die verfolgte Digitalstrategie ist und welchen Beitrag sie leisten können. Ferner beobachten wir auch auf der operativen Ebene, dass bei vielen die Umstellung auf die agile Arbeitsweise gut funktioniert hat, jedoch die Mitarbeiter gefrustet sind, weil sie nicht ausreichend dafür ausgerüstet wurden.

MARIO ZILLMANN: Können Sie das konkretisieren?

SLADJAN SEFEROVIC: Wir sehen zum Beispiel fachliche Product Owner, die auf einmal mit technischen Fragen konfrontiert sind, die sie ohne Weiteres nicht so einfach beantworten können. Hierbei unterstützen wir sehr oft, indem wir die technische Herausforderung mit der fachlichen Expertise koppeln und ein optimales Backlog mit den Product Ownern entwickeln.
Allerdings lesen wir aus der Studie auch eine wesentliche Abweichung zu unseren Erfahrungen im Hinblick auf die Einschätzung der Kundenloyalität heraus. Hier hält man aus unserer Sicht noch oft an Altbewährtem fest und setzt Dinge nur halbherzig um, aber eben nicht mit der notwendigen Konsequenz, die es jetzt dringend braucht. Kunden werden nicht ewig hinnehmen, dass sie mehr als zehn Euro für eine Wertpapierorder zahlen, daher werden sie entweder die Leistung bei einem anderen Haus einkaufen oder sie wechseln gleich vollständig zu einem anderen Haus, das ihnen die Leistung umsonst anbietet, weil sie sich die Kosten über andere Ertragsmodelle wieder reinholen. Und das müssen nicht mehr zwangsmäßig Banken sein.

MARIO ZILLMANN: Sondern?

SLADJAN SEFEROVIC: Neben den innovativen Playern am Markt, wie die GAFAs, rücken auch die alltäglichen Plattformanbieter, wie zum Beispiel Check24, immer weiter in das Bankenfeld vor und machen zunehmend Konkurrenz. Hier erhalten die Kunden sofortige Transparenz über Preis und Leistung – und sie können direkt und einfach Abschlüsse tätigen. Digitalisierung bedeutet schlicht, dass sich Banken und Versicherer bewegen müssen. Kundenzentrierung ist das wichtigste Stichwort für die nächsten Jahre. Wenn das nicht zeitnah ganz oben auf der strategischen Agenda steht, werden weiterhin Challenger-Banken Kunden gewinnen – und das, weil sie eine auf die User ausgerichtete App sowie schlanke und schnelle Prozesse haben.

MARIO ZILLMANN: Verhindern oder verlangsamen aus Ihrer Sicht die weiterhin steigenden regulatorischen Anforderungen den Digitalisierungsfortschritt?

SLADJAN SEFEROVIC: Regulatorische Anforderungen sind eine ernstzunehmende budget- und ressourcenintensive Herausforderung sowohl für Banken als auch für Versicherungen. Allerdings sehen wir generell auch eine Chance in diesen Themen. Wir haben in den letzten Jahren bei den Umsetzungen von regulatorischen Anforderungen die Erfahrung gemacht, dass oft nicht nur einzelne Prozessschritte betrachtet werden müssen, sondern ganze Prozessketten. Das ist eine optimale Gelegenheit, die Prozessketten gleichzeitig auf Digitalisierungspotenzial in Richtung Kunde und auf Effizienz hin zu überprüfen und Maßnahmen abzuleiten, die dann alle Anforderungen abdecken.
Darüber hinaus ist es an dieser Stelle auch wichtig zu verstehen, dass viele Regularien die Digitalisierung fördern, wie die Anforderungen der BaFin zum Thema IT-Strategie (BAIT) oder die PSD2-Richtlinie im Zahlungsverkehr. Diese Anforderungen unterstützen den schnelleren Umbau von sogenannter Legacy-IT und befeuert damit einhergehend auch den Digitalisierungsfortschritt.

MARIO ZILLMANN: Wie gehen Sie mit Ihren Kunden Digitalisierungsvorhaben an?

SLADJAN SEFEROVIC: Unser oberstes Ziel ist es immer, das Verständnis und somit die Transparenz für unsere Kunden zu schaffen, um für den Kunden die bestmöglichen Digitalisierungsmaßnahmen zu definieren. Dabei beziehen wir immer zwei Ebenen ein. Die interne Ebene, die auf Effizienz- und Kostenmaßnahmen ausgerichtet ist, und die externe Ebene, die auf den Kunden schaut. Wichtig ist hierbei, dass wir eine klare Zielsetzung gemeinsam mit dem Kunden definieren und dann den Weg der zwei Ebenen klar und strukturiert nach und nach umsetzen. Denn hier gibt es die Gefahr, dass sich die Kunden verzetteln und die wertvollen Ressourcen nicht optimal nutzen.
Auf der internen Ebene haben wir die besten Erfahrungen mit der Einbindung von Fach- und IT-Abteilungen auf Augenhöhe gemacht. Hier kann es aus unserer Sicht immer nur ein Gemeinsam geben, wenn schnellere Time-to-Markets erreicht werden sollen. Auf der zweiten Ebene ist der Kunde klar im Fokus. Hier ist stets das Ziel aller Digitalisierungsanstrengungen, näher an den Kunden zu rücken und eben nicht nur aus Bankensicht mehr über den Kunden zu erfahren oder durch mehr Daten den Vertrieb anzukurbeln.

MARIO ZILLMANN: Die Studienergebnisse zeigen eine gewisse Ambivalenz bei dem Thema Daten – die Schätzungen gehen von „Daten sind sehr wichtig“ zu eher „sind nicht so wichtig“. Können Sie das aus Ihrer Erfahrung erklären?

SLADJAN SEFEROVIC: Bei vielen Banken hat beim Thema datengetriebene Geschäftsmodelle und Steuerung eine gewisse Ernüchterung eingesetzt. Pilotinitiativen wie die Einführung eines Data Lakes konnten das Versprechen, eine Bank über Nacht digital zu machen, natürlicherweise nicht einhalten. Die alleinige Verfügbarkeit von Daten ist noch nicht der Heilsbringer – die Daten müssen auch sinnvoll eingesetzt werden. Es reift die Erkenntnis, dass Daten auch nur ein Mittel zum Zweck sind – wobei dieser Zweck häufig noch nicht bis auf die Arbeitsebene durchgedrungen ist. Denn dort greift oft noch eine gewisse Ratlosigkeit um sich, da konkrete Anwendungsfälle noch rar gesät und häufig außerhalb des Core Bankings angesiedelt sind. Und genau hier sehen wir auch die Überschneidung mit den Ergebnissen der Studie und wir helfen unseren Kunden, die tatsächlichen Mehrwerte beim Thema Daten zu heben – indem wir mit ihnen gemeinsam versuchen, ihre übergreifende Prozesssteuerung im Core Banking auf Basis von Daten neu zu denken.

MARIO ZILLMANN: Wie sollten Banken das Henne-Ei-Prinzip bei Technologien adressieren, also die Entscheidung, zunächst zukunftsfähige Basistechnologien bereitzustellen oder eher Business-Use-Cases-orientiert vorzugehen und punktuell neue Technologien zu implementieren?

SLADJAN SEFEROVIC: Es ist eine enorme Herausforderung für große IT-Organisationen, das gesunde Mittel zu finden zwischen der agilen und kosteneffizienten Umsetzung von Use Cases und der Verantwortung, die IT-Legacy von morgen aufzubauen durch in Anspruch genommene Abkürzungen. Wir raten hier tendenziell eher zur Vorsicht, vor allem beim Aufbau von Neuapplikationen: Bei einem großen Kunden zum Beispiel wurde die bestehende Systemlandschaft von rund 500 Applikationen im Rahmen der Cloud-Initiative um weitere 500 Cloud Use Cases mit jeweils eigenen Applikationen erweitert – ohne aber mehr als 10 Prozent der alten Applikationen abschalten zu können. Dabei entstand ein großer Zoo an neuen Technologien, der die zukünftige IT-Infrastruktur komplexer macht. Da muss man sehr vorsichtig sein, um sich die Zukunft nicht im wahrsten Sinne des Wortes zu verbauen. Selbst die großen Tech-Konzerne sind davor nicht gefeit – Microsoft kämpft zum Beispiel mit den Altlasten der Programmiersprache Ruby bei GitHub. Daher ist unser Votum beim Kunden eine enge Begleitung von Neuapplikationen und Cloud-Initiativen durch Architekten und ein Programm-Management – auch wenn dies dem Kerngedanken des agilen Vorgehens nicht zu 100 Prozent entspricht.

MARIO ZILLMANN: Die größten Anforderungen der Banken an Beratungen sind laut der Studie Analytics- und KI-Kompetenzen. Was genau ist als Skillset damit gemeint?

SLADJAN SEFEROVIC: Im Bereich Analytics ist das geforderte Skillset unserer Erfahrung nach zweigliedrig. Natürlich braucht es zuerst einmal die methodische Kompetenz, Datenflüsse schnell zu verstehen und eine Verarbeitung hin zum gewünschten Stand zu designen. Zur methodischen Erfahrung gehört dabei auch eine gute Übersicht über die zur Verfügung stehenden Tools am Markt. Der jedoch häufig unterschätzte Teil des Skillsets ist die Begleitung bei der tatsächlichen Nutzung der Daten und der Analytics-/KI-Komponenten für die Steuerung von Prozessen im Unternehmen, also den Daten tatsächlich eine Steuerungsrelevanz zu verleihen.

MARIO ZILLMANN: Sie haben sich in diesem Jahr neu aufgestellt. Was direkt bei Ihrem Unternehmensprofil ins Auge springt, ist, dass Sie einen Teil der Einnahmen für soziale Projekte verwenden. Erzählen Sie uns mehr dazu – was hat sie bewegt?

SLADJAN SEFEROVIC: Wir sind uns unserer sozialen Verantwortung bewusst. Wir befassen uns oftmals zu stark mit uns selbst, sodass wir vieles um uns herum vergessen oder eben nur aus der Ferne beobachten. Das reicht aber einfach nicht mehr aus – vor allem nicht in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels und des Mangels an Fachkräften. Wir lesen alle über Probleme wie fehlende Integration, aber darauf nur mit dem Finger zu zeigen und zu nicken bringt uns nicht weiter. Daher engagieren wir uns mit dem Fokus auf die nächste Generation, um diese für die digitale Zukunft fit zu machen. Fortschritt durch Digitalisierung bedeutet eben auch, dass sich unsere Gesellschaft nachhaltig verändert und dass man sich um diejenigen, die nicht direkt als Gewinner hervorgehen und gute Bildungschancen haben, kümmern muss. Wir nehmen das sehr ernst und engagieren uns als kleine Firma vor Ort – mit Geld und mit unserer Arbeitsleistung.

MARIO ZILLMANN: Vielen Dank für das Gespräch.

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