Digitalisierung, Automatisierung, COVID-19: Die Transformation darf nicht mehr warten

Mario Zillmann hat sich im Rahmen der Studie „Digital Outlook 2025: Financial Services“ mit Jörg Fehrenbacher, Director Financial Services und Christian Seidenath, Senior Manager Financial Services, KPMG Deutschland, zum Status quo der Digitalisierung bei Banken und Versicherungen unterhalten.

25.01.2021

Jörg Fehrenbacher, Director Financial Services KPMG

Jörg Fehrenbacher

Director, Financial Services
KPMG

Christian Seidenath

Senior Manager, Financial Services
KPMG

MARIO ZILLMANN: Banken erholen sich aktuell von den Auswirkungen der Coronakrise. Was werden Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Erkenntnisse aus dieser schweren Zeit sein?

JÖRG FEHRENBACHER: Im Allgemeinen sind die drei zentralen Erkenntnisse aus dieser Zeit die Klärung der folgenden Fragen: Wie ist meine Reaktions- und Skalierungsfähigkeit? Wie hoch ist meine Prozesstransparenz? Wie kann ich die Kundenschnittstelle gestalten, damit ich „omnikanal“ auf meine Kunden reagieren kann?

MARIO ZILLMANN: Mit Blick auf die Prozesstransparenz: Was stellt die Kreditinstitute in diesem Zusammenhang nach Jahren der Digitalisierung immer noch vor Herausforderungen?

CHRISTIAN SEIDENATH: Die Regulatorik und die gewachsenen Systeminfrastrukturen haben die Banken fest im Griff. Nur wenige Kreditinstitute setzen ihre digitale Agenda nachhaltig und konsequent um. Ein Baustein der Agenda sind Business-Process-Management-Systeme, also integrierte Plattformlösungen. Diese liefern eine ganzheitliche Prozesstransparenz und einen elementaren Beitrag zur Effizienz. Ziel muss es sein, Aussagen dahin gehend treffen zu können, was mich die Herstellung eines Produkts kostet, wo meine aktuelle Prozessperformance liegt und/oder wie meine derzeitige Prozessqualität ist.

MARIO ZILLMANN: Was macht den Einsatz und die Einführung von Business-Process-Management-Lösungen attraktiv? Wie schätzen Sie den aktuellen Abdeckungsgrad in der Bankenwelt ein?

CHRISTIAN SEIDENATH: Derartige Lösungen dienen primär dem Orchestrieren von Prozessen auf einer technischen Plattform unter Anbindung der bestehenden Systeminfrastruktur einer Bank. Mitarbeiter können somit ihren Arbeitsalltag auf einer Oberfläche vollziehen – das Wechseln zwischen unterschiedlichen Lösungen wird dadurch reduziert bzw. komplett vermieden. Neben der Optimierung und Standardisierung von Prozessen werden zudem Kunden in die Lage versetzt, sich über den Status ihrer aktuellen Bearbeitung zu informieren. Im Hinblick auf den Abdeckungsgrad muss klar differenziert werden: Was sich im Retailgeschäft bereits überwiegend durchgesetzt hat, befindet sich beispielsweise im komplexen Firmenkundengeschäft erst in den Anfängen.

MARIO ZILLMANN: Ist die Einführung einer Business-Process-Management-Lösung mit einem intensiven Transformationsaufwand verbunden?

JÖRG FEHRENBACHER: Das ist schwer zu pauschalisieren. Häufig nähern wir uns als KPMG über einen sogenannten Quick-Check – also die Identifikation von dedizierten, klein geschnittenen Prozessen und deren Umsetzung am ersten Piloten. Dies dauert in der Regel ein bis drei Monate. Die ersten Erfolge und Potenziale sind anhand dieses Piloten bereits gut erkennbar. Zusätzlich liefern wir dem Kunden ein zugeschnittenes Zielbild für eine ganzheitliche Transformation, inklusive einer dazugehörigen Umsetzungsplanung.

MARIO ZILLMANN: Im Kontext der Prozesstransparenz etabliert sich zunehmend Process Mining am Markt. Was sind hier geeignete Use Cases und wie kann der Einsatz von Process Mining einen konkreten Nutzen hervorbringen?

CHRISTIAN SEIDENATH: Process Mining ist ein sehr aktuelles Thema. Mithilfe von Process Mining ziehe ich mir aus den vorhandenen ERP- und CRM-Systemen neben den Geschäftsdaten auch einen sogenannten Zeitstempel, um den tatsächlichen Prozess in einem Process Mining Tool abbilden zu können und so Transparenz über Schwachstellen im Prozess zu erhalten. Die Use Cases sind sehr vielfältig: Von den Handels-, Kredit- und Zahlungsverkehrsprozessen bis hin zu den Backoffice-Aktivitäten. Der Fokus liegt hierbei nicht nur auf der Optimierung der Prozesseffizienz, sondern insbesondere auch auf der Compliance – das heißt, bin ich auch konform zu meinen selbst aufgestellten Regelwerken unterwegs?

MARIO ZILLMANN: Mit Blick nach vorne: Was genau kann unternommen werden und welche Lösungen zur technischen Unterstützung existieren bereits?

JÖRG FEHRENBACHER: Wir müssen uns von starren Produktstraßen und IT-Architekturen lösen und in der Lage sein, starke modulare Plattformen aufzubauen, über die wiederum verschiedene Services angedockt und Kundenportallösungen integriert werden können. Insbesondere das Thema Selfservice des Kunden spielt in Zukunft eine noch größere Rolle. Ziel ist es, dass der Kunde einen Großteil seiner Anliegen selbst erledigen kann. Das Ganze wird von einer darunter liegenden, intelligenten Business-Process-Management-Plattform orchestriert, die die einzelnen Prozesse und verschiedenen Services effizient miteinander verbindet und somit den Ablauf optimiert.

MARIO ZILLMANN: Was muss sich im Rahmen der Kundenzentrierung an der Kundenschnittstelle ändern, um einen maximalen Nutzen beziehungsweise ein optimales Kundenerlebnis zu generieren?

CHRISTIAN SEIDENATH: Die Begeisterung des Kunden in hoch transparenten Märkten ist wichtiger denn je. Hierbei ist eine schnelle, einfache Kommunikation mit zugeschnittenen Produktangeboten essenziell. Eine potenzielle Lösung hierfür aus der künstlichen Intelligenz (KI) ist zum Beispiel das „Next-best-Offer“ beziehungsweise die „Next-best-Action“. Es ist beeindruckend zu sehen, wie eine solche Lösung ein Produktangebot automatisiert für den Kunden generiert und anschließend den Kunden bis zum Vertragsabschluss begleitet.

MARIO ZILLMANN: Wie verzahnen sich Kunde, Prozess und KI miteinander? Wie ist die derzeitige Akzeptanz der Kunden?

CHRISTIAN SEIDENATH: Die eigentliche Oberfläche zur Interaktion für den Kunden ist nicht mehr die Filiale, sondern es sind vielmehr Endgeräte wie beispielsweise Smartphones oder Tablets. Nutzergewohnheiten im Sinne des Handelns und Entscheidens müssen optimal mit Technologie unterstützt und antizipiert werden. Das Heben der „Datenschätze“ der Banken und deren intelligente Nutzung hat aus unserer Sicht eines der höchsten Potenziale.

MARIO ZILLMANN: Es ist klar zu erkennen, dass Banken in Bezug auf die Reaktionsgeschwindigkeit und Skalierbarkeit höhere Anforderungen haben. Haben Sie hierfür auch ein konkretes Kundenbeispiel?

JÖRG FEHRENBACHER: Ein gutes Beispiel hierfür ist die DKB, die angekündigt hat, innerhalb der nächsten vier bis fünf Jahre ihre Kundenanzahl von 4 Millionen auf 8 Millionen Kunden verdoppeln zu wollen. Dafür müssen heutige Abläufe für diesen Schritt fit gemacht werden. Im Fokus steht hierbei der Ausbau der Kundenschnittstelle verbunden mit einer Business-Process-Management-Plattform, um Operationsprozesse zu automatisieren. Ein weiteres Beispiel aus der Covid-19-Krise: Förderbanken müssen innerhalb von wenigen Tagen in der Lage sein, Fördergelder oder beispielsweise Zuschüsse an kleine und mittlere Unternehmen sowie an große, internationale Konzerne zu vergeben. Hierfür bedarf es einer Plattformlösung, mit der eine Bank in der Lage ist, Anträge aufzunehmen, Dokumente zu verwalten sowie einen Antrags- und Genehmigungsprozess abzubilden.

MARIO ZILLMANN:Welche Lösungen hätten Kunden bereits in der Covid-19-Krise benötigt?

JÖRG FEHRENBACHER: Den Anfang bilden ausreichende und stabile Remote-Zugänge für Mitarbeiter. Zudem ist das papierlose Büro nach wie vor kein Standard, vor allem, wenn man bedenkt, dass häufig das Original bereits einmal digital vorlag. Insgesamt sollten sich Kreditinstitute intensiv damit befassen, wie ihre Prozesse ausgestaltet sind, um schnell agieren zu können – sei es durch digitalisierte Dokumente, digitalisierte Formulare oder digitalisierte Freigabe- und Kreditbewilligungsverfahren.

MARIO ZILLMANN: Zum Abschluss noch ein ganzheitlicher Blick auf die Finanzindustrie: Verfügt Ihrer Meinung nach die Bankenwelt über ein Alleinstellungsmerkmal oder sind die Versicherer ebenfalls in besonderer Weise gefordert?

CHRISTIAN SEIDENATH: Sowohl für Banken als auch für Versicherungen sind intensive und große Investitionen in Automatisierung und KI notwendig, um einerseits die Kundenschnittstelle noch besser bedienen zu können und andererseits die Prozesse und Abläufe zu optimieren sowie zu automatisieren. An manchen Stellen sind Versicherungen den Banken bereits ein Stück voraus, wenn sie ihr Produktdesign und die darunterliegenden Prozesse mit einem Selfservice des Kunden verbinden. Ein Beispiel sind die sogenannten Micro-Products oder Micro-Versicherungen, worüber Kunden direkt auf ihrem Smartphone beispielsweise Unfall- oder Reiseversicherungen abschließen können. Der Selfservice des Kunden ist hier deutlich flexibler, als es in vielen Banken heutzutage der Fall ist, wo es allein schon die Komplexität des Produkts nicht erlaubt, effiziente und automatisierbare Prozesse zu etablieren.

MARIO ZILLMANN: Warum ist aus Ihrer Sicht KPMG ein wichtiger Partner für Kunden, um sich den aktuellen Herausforderungen im Finanzwesen optimal zu stellen?

JÖRG FEHRENBACHER: Unsere DNA prägt ein tiefes Produkt- und Prozess-Know-how. Dieses erweitern wir kontinuierlich um eine umfangreiche Technologieexpertise, welche wir stetig durch erfolgreiche Business-Process-Management- und Process-Mining-Projekte weiterentwickeln. Mit unseren Experten im KPMG Lighthouse sind wir zusätzlich in der Lage, auch moderne Technologien aus der Welt der KI hervorragend umzusetzen.

CHRISTIAN SEIDENATH: Des Weiteren erkennen wir zunehmend, dass mit der wachsenden Anzahl an technischen Implementierungen eine ausreichende Compliance mitgeliefert werden soll. Unsere Kunden erhalten von uns Lösungen, die nicht nur auf sie individuell zugeschnitten wurden, sondern auch den externen regulatorischen Anforderungen Stand halten. Dabei hilft es auch, dass wir nicht primär mit Offshore- oder Nearshore-Einheiten operieren, sondern unsere Mitarbeiter beim Kunden vor Ort technische Lösungen entwickeln – von Mensch zu Mensch.

MARIO ZILLMANN: Vielen Dank für das Gespräch.

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