Digitale Transformation: Das Krankenhaus der Zukunft

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Tobias Gollnik

Tobias Gollnik

ist Senior Manager im Bereich Life Sciences & Healthcare bei Deloitte. Zu seinen Fachgebieten gehört u.a. die Entwicklung von Markt- und Wachstumsstrategien.
Ibo Teuber

Ibo Teuber

ist Partner im Bereich Life Sciences & Healthcare bei Deloitte. Er verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich der ambulanten und stationären Leistungserbringer.

Homecare, selbstbestimmende Patientinnen und Patienten, optimale Vernetzung der Versorgungskette und innovative Präventionsmöglichkeiten – was bisher erst für das Jahr 2040 prognostiziert wurde, lassen die Covid-19-Pandemie, neue Regulierungen und neuartige Kooperationen schon heute zur Realität werden. Die Pandemie zwingt öffentlich und private Leistungsanbieter, sich in kürzester Zeit anzupassen und Innovationen schneller voranzubringen.

Die Deloitte »Future of Health 2040 Initiative« hat bereits vor der Pandemie ein Zukunftsbild des Gesundheitswesens gezeichnet – weg von rein stationären Settings hin zu Homecare, Reha und Prävention sowie einer besseren Vernetzung der Versorgungskette rund um einen selbstbestimmten Patienten. Durch die Covid-19-Pandemie wird dieses Zukunftsbild deutlich früher als 2040 eintreten. Erste Trends zeichnen sich bereits heute ab, und bis 2025 wird der Druck auf die Akteure im Gesundheitssystem noch einmal deutlich zunehmen.

Verändertes Patientenverhalten

Patientinnen und Patienten sind die führende Kraft für Veränderungen im Gesundheitssystem. Ihre Bedürfnisse und Vorstellungen treiben Innovationen im Bereich von Leistungsangeboten, Produkten und Digitallösungen voran. Sie werden damit zu Kundinnen und Kunden und wollen komfortable Lösungen, einfache Zugänglichkeit und Transparenz.

Die digitale Patientenakte dient dabei als zentraler Baustein einer integrierten und vernetzten Versorgung. In Zukunft können durch einen einfachen digitalen Datenaustausch zwischen Patient oder Patientin und der behandelnden Person eine gemeinsame Informationsbasis und Übersicht gewährleistet werden. Homeoffice und Reisebeschränkungen haben dazu geführt, dass digitale Kommunikation verstärkt Einzug in den Alltag erhalten hat – auch im Gesundheitsbereich. Anstelle des risikobehafteten Besuchs in Arztpraxis, Klinik oder Notaufnahme nutzen Patientinnen und Patienten verstärkt virtuelle Formate wie Apps, Arzttermine per Videocall oder Telemedizin. Auf diese Weise treiben sie die Etablierung der digitalen Interaktion als elementaren Anteil eines umfassenden Versorgungsangebotes voran. Nun, da Ratsuchende die Bequemlichkeit und Effektivität von virtueller Versorgung erfahren haben, lässt sich dieser Trend nur schwer zurückdrehen.

Innovation und Digitalisierung

Die Covid-19-Pandemie gilt als Treiber und Verstärker von Innovation und Digitalisierung im Gesundheitssektor. Sie hat die wachsende Lücke zwischen der Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen auf der einen und dem Mangel an Fachkräften und anderen Ressourcen auf der anderen Seite offengelegt. Bei vielen Stakeholdern hat sich das Bewusstsein herauskristallisiert, dass die breite Anwendung digitaler Technologien ein wesentlicher Schlüssel ist, um diese Lücke zu schließen. Im Ergebnis haben viele digitale Initiativen, die seit Jahren in Bearbeitung sind, in wenigen Wochen oder Monaten signifikante Fortschritte erzielt.

Dabei wurden über Nacht virtuelle Gesundheitstechnologien zu einem Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Arzt-Patienten-Gespräche fanden über Videochats, Telefonanrufe, SMS und E-Mails statt, wenn Covid-19-Restriktionen und Quarantänen persönliche Termine verhinderten.

Durch das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) und mit den Finanzmitteln aus dem Krankenhauszukunftsfonds zeigt sich der deutsche Gesetzgeber gewillt, die Digitalisierung der Krankenhäuser mit 4,3 Milliarden Euro zu fördern. Hier hat Deutschland im europäischen Vergleich noch viel aufzuholen.

Veränderung des Leistungsangebots

Gleichzeitig verändert sich auch das Leistungsangebot der Krankenhäuser, wobei eine Verschiebung hin zu Prävention, ambulanter Versorgung und Virtual Care erkennbar ist. In einer Versorgungswelt mit Schwerpunkt auf virtueller Gesundheitsbetreuung steht die Patientenschaft im Mittelpunkt. In Kombination mit der gesteigerten Verfügbarkeit und Nutzung von Daten ist die personalisierte Medizin einer der maßgeblichen Trends der nächsten Jahre.

Der erwartete weitere Rückgang der klassischen stationären Versorgung und die Entstehung neuer Versorgungsmodelle führen zu einem hohen Anpassungsdruck bei den ambulanten und den stationären Gesundheitsanbietern. Die medizinische Versorgung in der häuslichen Umgebung wird einen deutlich größeren Stellenwert einnehmen. Auch Pflege kann noch stärker als bisher zu Hause stattfinden.

Eine Verschiebung des Schwerpunktes von Therapie hin zu Prävention führt zu einer entsprechenden Reallokation von Ressourcen und Leistungsangeboten. Dabei wird der ambulante Sektor gestärkt werden und zukünftig eine Schlüsselrolle zwischen stationärem Bereich und Homecare einnehmen, wohingegen Rehabilitation weiterhin einen relevanten Stellenwert in der Sekundärprävention haben wird.

Robot Nurse Waiting The Patient In Empty Hospital Room
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Veränderungen für die Arbeit

Die Arbeitskräfte im Gesundheitswesen stehen im Zuge der Covid-19-Pandemie unter besonders hohem Druck. In den ersten Monaten der Pandemie führte es dazu, dass tausende Pflegekräfte ihre Stellen kündigten. Mangel an Fachkräften in der Pflege, eine hohe Zahl von Burn-out-Erkrankungen und das Problem, hochqualifizierte Mitarbeiter zu finden, waren bereits vor der Pandemie zentrale Problemfelder im Gesundheitsbereich.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen Gesundheitsdienstleister und Krankenhäuser Fachpersonal mit innovativen Technologien zusammenbringen. Durch den strategischen Einsatz solcher Technologien werden Fachkräfte signifikant weniger Zeit mit administrativen Prozessen und Datenbeschaffung verbringen und sich wieder mehr ihren originären Tätigkeiten in der Patientenversorgung widmen können.

Wirtschaftlichkeit der Kliniken

Die wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser verschlechtert sich seit Jahren kontinuierlich. Der im Zuge der Pandemie aufgespannte Rettungsschirm hat den Strukturwandel zunächst aufgehalten. Jedoch werden viele Einrichtungen im Wirtschaftsjahr 2021 nicht das Erlösniveau von 2019 erreichen, als bereits fast 29 Prozent der Kliniken in Deutschland einen Jahresverlust auswiesen. Unter der Maßgabe der bisherigen Vergütung auf der Basis diagnosebezogener Fallgruppen (Diagnosis Related Groups; DRG) und vor dem Hintergrund rückläufiger stationärer Patientenzahlen werden viele Krankenhäuser in den kommenden Jahren ums Überleben kämpfen.

Kostensenkungsmaßnahmen allein werden als Mittel der Wahl nicht ausreichen. Bedingt durch den Fachkräftemangel sind heutzutage schon viele kleine und mittelgroße Krankenhäuser nicht in der Lage, ihre Leistungen durchgängig anzubieten; eine weitere Personalreduzierung würde bei gleichzeitiger Mindestbesetzungsmathematik dazu führen, dass diese medizinischen Angebote überhaupt nicht mehr offeriert werden können.

Vergütungsmodelle und Finanzierung

Das deutsche Fallpauschalensystem gilt schon länger als reformbedürftig. Eine erste wegweisende Neuerung und Kehrt- wende von der Pauschalierung erfolgte 2020 mit der separaten Finanzierung der Pflege am Bett außerhalb der DRG. Die Vergütung für die Teilnahme an der Notfallversorgung wurde ebenfalls bereits an die Versorgungsstufen geknüpft. Eine optimale Krankenhausfinanzierung verfolgt verschiedene Ziele: bedarfsgerechte Versorgung, Qualität der Versorgung, Effizienz der Leistungserbringung und Fairness sowohl gegenüber Leistungserbringern als auch Kostenträgern.

Doch welches System kann alle Ziele verbinden? Capitation-Modelle, Value-based Healthcare, eine Dreiteilung der Krankenhausfinanzierung in bedarfsnotwendige Strukturen, Fallpauschalen und Qualitätskriterien, Hybrid-DRGs oder Bundled Payments? Fest steht, die traditionellen Sektorengrenzen werden aufbrechen. Eine Vergütung orientiert am Patientenpfad über die ambulante oder stationäre Grenze hinweg unter Berücksichtigung von Qualität, Versorgungsbedarf und Effizienz scheint ein zielführender Ansatz zu sein.

Das Momentum für die Transformation nutzen

Die Covid-19-Pandemie beschleunigt die Transformation im deutschen Gesundheitswesen. Gerade die Entwicklungen im Bereich des Patientenverhaltens, der Technologie und des Arbeitsmarktes sind die wesentlichen Treiber für einen beschleunigten Veränderungsprozess. Krankenhäuser haben im Zuge der Covid-19-Pandemie ihre Prioritäten kurzfristig anpassen müssen, um auf die neuen Anforderungen zu reagieren. Patienten haben gezeigt, dass sie offen sind für virtuelle Konsultationen und nicht zwangsläufig einen Krankenhausaufenthalt vorziehen. Dieses Momentum gilt es zu nutzen, denn der Effekt wird nachhaltig sein. Wenn uns diese Pandemie eines gelehrt hat, dann, dass Krankenhäuser wandelbar sind.

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